Muck Petzet
Muck Petzet Architekten, München/Berlin
Wir sind geschützt und in Watte gewickelt durch ein alles bestimmendes Regelgeflecht von »Mindeststandards «, Mindestgrößen und Mindestqualitäten. Die »Höhe« der Standards ist direkter Ausdruck der Höhe unseres Lebensniveaus. Es scheint dabei eine unabänderliche Regel zu geben: Standards werden immer höher, strenger, sicherer, restriktiver, teurer. Dieser Automatismus sollte umgekehrt werden: Eine Re-Standardisierung könnte ein notwendiger »Reset« sein, der unserem »Age of Less« entspricht: Wir sollen ja weniger Ressourcen verbrauchen und weniger Energie verschwenden – dabei sollten wir dann aber auch weniger »abgesichert« und dafür freier sein. Lernen wir von vergangenen Zeiten und anderen Ländern, in denen Menschen in kleineren Wohnungen und engeren Zimmern lebten, in denen Menschen jeden Tag steile und enge Treppen stiegen, auf nackten Bohlen und schnödem Estrich lebten, in denen Städte aus gemischten, dichten, lebendigen und lärmigen Quartieren bestanden. Ein neuer Re-Standard entsteht durch die Abschaffung existierender Standard-»Schichten«. Die Re-Standardisierung legt früher gültige und heute noch sinnvolle Standards frei und entwickelt sie weiter zu Regeln, die am Gemeinwohl orientiert sind.
Standards verhindern bezahlbares Wohnen. Man muss sich nur die Qualitätsstandards für sozial geförderten Wohnungsbau durchlesen, um zu verstehen, warum er so selten geworden ist. Urbane Ziele wie Dichte, großer Maßstab oder Nutzungsmischung werden zu Gunsten eines »Standards« verhindert, der immer noch das Familienideal vom Wohnzimmer mit 20 Quadratmetern Grundfläche und dem Elternschlafzimmer mit Schrankwand hochhält. Wohnen darf man nicht nach Norden, nicht in Gegenden, in denen auch gearbeitet wird. Wohnen darf man nur 100 Prozent barrierefrei, klimatisiert und ausgestattet mit Rauchmeldern und Balkon. Die Addition all dieser gutgemeinten Standards führt zur Flächennot in den Städten, zur Unbezahlbarkeit von Wohnraum und zum Zwang zur Billiglösung.
Reset Standards. Die Option für gutes bezahlbares und nachhaltiges Wohnen liegt nicht in der Reduktion der Baukosten für steigende Standards. Wir sollten Standards infrage stellen und eigene, am Gemeinwohl und den Bedürfnissen des Einzelnen orientierte Regeln aufstellen. Was würde passieren, wenn die »Errungenschaften« der Standardisierung und Baugesetzgebung der letzten 100 Jahre hinterfragt würden? Was wäre, wenn die Trennung von Nutzungen durch Gebietskategorien aufgehoben würde, wenn es keine Begrenzung der Dichte, keine Abstandsflächen mehr gäbe, keine Mindest- und Maximalgrößen von Zimmern und Wohnungen?
Aus der Geschichte lernen. Die Schrecken eines solchen Szenarios kann der Blick zurück in die Vergangenheit mindern. Mit einem zeitlichen und kulturellen Reset »Back into the Future« können wir die heutigen Standards hinterfragen und zurück zu ehemals gültigen und bewährten Lösungen finden. Wir sollten dabei die von der Moderne in Verruf gebrachten Qualitätsstandards der dichten Gründerzeitquartiere ebenso achten wie die verschütteten Potenziale der Moderne, die radikalen Grundrisse, die Megastrukturen und die seriellen Lösungen.
Standards der Gründerzeit. Die weitgehend »standardisierten « Architekturen der Gründerzeit mit der Verwendung »natürlicher« und langlebiger Materialien wie massive Holzböden, atmungsaktive und ungiftige Putze und schmückende Details haben auch heute eine hohe Identifikationskraft. Die »Altbauwohnung« mit nutzungsneutralem Grundriss gilt heute als Paradebeispiel für »Adaptierbarkeit « und Wandlungsfähigkeit.
Das standardisierte Wohnen der Moderne. Interessant ist auch ein Blick auf die klassische Moderne, beispielsweise auf die Konzepte für die Wohnung des »Existenzminimums« von Bruno Taut und anderen, in denen auf minimalem Raum durch intelligente Ausstattung ein Höchstmaß an Gebrauchstauglichkeit entsteht. Aber auch eine allgemein noch ungeliebte Periode hat hervorragende Standards gesetzt: die Nachkriegsmoderne. Wir können aus den Fehlern, aber auch aus den Stärken der seriellen Abstraktion, der Einfachheit und konzeptionellen Strenge, den Grundrissen und innovativen Gebäudekonzepten dieser Zeit viel lernen. Die Krone der Schöpfung seriellen Bauens, der DDR-Plattenbau, zeigt Potenziale und Grenzen dieser Ansätze. Retrograde Innovation. Heute werden totgesagte Konzepte wie das »serielle Bauen« oder Typenbauten wieder neu »erfunden« und zu Hoffnungsträgern für »bezahlbares Wohnen«. Der Glaube und Wille von Architekten und Ingenieuren, Systeme und Bauteile für jede Form von Bauwerk zu entwickeln, der in den 1960er und 1970er Jahren seine Blüte erlebte, wurde und wird den Architekten jedoch schon an den Universitäten und Hochschulen als überholter Ansatz und haftungsrechtliches Harakiri ausgetrieben. Es wird Zeit, ihn wieder zu finden.
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