Antje Osterwold/Matthias Schmidt
Osterwold°Schmidt EXP!ANDER ARCHITEKTEN BDA, Weimar
Die Reduktion technischer Standards und die Abkehr von Stereotypen sind der Ausgangspunkt für eine neue Kultur des Wohnens, in der das alltägliche Leben der Menschen in den Mittelpunkt rückt. Befreit von überregulierten Anforderungen, übersteigerten Erwartungen und oft beliebig wirkenden Klischees richtet sich das Wohnen an den grundlegenden menschlichen Bedürfnissen aus und lädt zur Entfaltung des persönlichen Raums ein. Es gilt, den Kern des Wohnens zu erkennen, sich auf ein erforderliches Maß bei der Konzeption des eigenen Wohnraums zu besinnen und Essenzielles auszuwählen. Je selbstverständlicher der Bezug zur Lebenskultur der Menschen und ihrem Eigensinn gelingt, umso wahrhafter ist die Authentizität und Atmosphäre des Wohnens.
Befreiung des Wohnens vom Klischee: Die Forderung nach Reduktion und Zeitlosigkeit im Wohnen erweckt schnell den Verdacht eines langweiligen Lebens in gewöhnlichen, zweckorientierten Wohnungen. Doch vielmehr ist dies eine wohltuende Befreiung von schablonenhaften Kategorien wie sozialer oder gehobener Wohnungsbau, Eigentumsoder Mietwohnungsbau und von vorgefestigten Erwartungen wie Retrostil oder Bauhausstil, die das Wohnen zu einem Konsumgut und Produkt modischer Beliebigkeit machen. Um den architektonischen Raum in seiner Kraft für das Wohnen zu stärken, müssen wir uns von überzogenen Anforderungen und Erwartungen an das Wohnen lösen. Verbunden damit ist die Herausforderung für Architekten, ihre reflexartige Suche nach dem Ausgefallenen auf eine wohldosierte Prise zu begrenzen.
Das erfüllte Selbstverständliche schafft Spielraum für Eigen-Art. Für eine reichhaltige Lebenswelt ist der Mensch Partner der Architektur. Seine essenziellen Grundbedürfnisse müssen in den Elementarfunktionen der Architektur gewährleistet sein und eine subjektive Auslegung ermöglichen, sodass beispielsweise Jahreszeiten und Lichtwechsel erfahrbar sind, der Raum durch Ein- und Ausblicke verortet ist, Rituale und persönliche Lebensgewohnheiten zugelassen sind und die Räume ohne zementierte Nutzungszuschreibungen zu einer Gesamtkonzeption gefügt werden. Das Verhältnis zwischen Grundanforderungen und alltäglicher Lebenskultur ist dafür ständig neu zu gewichten. Dazu gehören einerseits die Angemessenheit von Raum und Material, von Komfort und Funktion, von Geborgenheit und Austausch und andererseits eine Gestaltung, die eine Wertschätzung und Verbundenheit bei den Bewohnern erreicht.
Die gute Behausung umfasst immer ein Angebot mehr. Unter diesen Gesichtspunkten geht es für Architekten um eine Ausgewogenheit von Ehrlichkeit und Einzigartigkeit in der Gestaltung der Wohnung und um die Bereitschaft aller, Wohnanforderungen mit großer Offenheit nach dem Wesentlichen zu befragen und sich bei der Konzeption der bedarfsgerechten Behausung auf den Aspekt der Bescheidenheit zu besinnen – den »Respekt vor dem Unspektakulären« (Elisabeth Katschnig- Fasch). Dabei ergeben sich angenehme Wohnqualitäten wie Raum zur persönlichen Entfaltung und eine Vertrautheit mit dem eigenen, sehr persönlichen Wohnraum.
Atmosphäre und Authentizität sind die Anker, die gegen Beliebigkeit und Austauschbarkeit der Wohnsituation wirken. Das Bestimmende eines Ortes, stadträumliche Gegebenheiten, regionale Besonderheiten und die Spezifika des Wohnenden sind dabei Ideengeber für das Schaffen eines charakteristischen Wohngebäudes. Das Abwägen zwischen Zeitlosigkeit und Zeitgemäßem ist dabei nicht nur ein Mittel gegen die Eigenschaftslosigkeit von Gebäuden, sondern schafft einen Gewinn an Beständigkeit in materieller, kultureller und emotionaler Sicht. Bewohner können ihre Werte und Ziele ausdrücken, sich den Raum aneignen und ihre Identität einbringen – Wohnungen werden zur Bühne für eine individuelle Bespielung.
#NeueStandards #BDA #DAZBerlin